Entwicklung des Buddhismus in Deutschland
Der Buddhismus ist hierzulande keine geistige Modeerscheinung, sondern seit über 150 Jahren Bestandteil der deutschen Kultur.
Den ersten Kontakt zwischen dem deutschen Kulturkreis und der Lehre des Buddha fand im Süden Russlands statt: Bereits in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts treffen hier wolgadeutsche Siedler auf das buddhistischen Volk der Kalmüken. Der russlanddeutsche Wissenschaftler Isaak Jakob Schmidt (1779-1847) gilt als einer der ersten westlichen akademischen Buddhologen. Er verfasst die ersten Bücher über den Buddhismus in deutscher Sprache, die in St. Petersburg erscheinen.
Der Philosoph Arthur Schopenhauer (1788 bis 1860) ist der erste prominente Deutsche, der sich zum Buddhismus bekennt. Sein Wissen schöpfte er hauptsächlich aus Büchern. 1854 schreibt er:
"Dereinst wird gewiß indische Weisheit sich über Europa verbreiten. Jener Eintritt des Buddhaismus würde aber nicht wie einst der des Christentums in den unteren Schichten der Gesellschaft anfangen, sondern in den oberen; wodurch jene Lehren sogleich in gereinigter Gestalt und möglichst frei von mythischen Zutaten auftreten werden."
Auch der Philosoph Friedrich Nietzsche (1844-1900) und der Komponist Richard Wagner (1813-1873) beschäftigen sich theoretisch mit der Lehre Buddhas. 1891 beginnt der Österreicher Karl Neumann mit der Übersetzung von originalen Sutratexten aus dem Pali.
Die Dampfschifffahrt ermöglicht ab ca. 1900 Passagierreisen nach Asien. Junge Deutsche brechen nach Sri Lanka, Burma und Indien auf, um den Buddhismus auch von seiner praktischen Seite kennen zu lernen. Der Geigenvirtuose Anton Walter Florus Gueth (1878-1957) lässt sich 1903 in Burma unter dem Ordensnamen Nyânatiloka als erster Deutscher zum buddhistischen Mönch weihen. Seine Versuche, in Deutschland ein traditionelles Buddhistisches Kloster aufzubauen, gibt er bald auf. Nach mehreren Aufenthalten in Sri Lanka baut der Arzt Dr. Paul Dahlke (1865-1928) im Norden Berlins in den 1920er Jahren mit dem "Buddhistischen Haus" die erste Anlaufstelle für den Buddhismus in Deutschland. In der gleichen Zeit gründet Martin Steinke (1882-1966) die erste Vereinigung für Chan-Buddhismus. Er hatte sich in China zum Mönch ausbilden lassen. Dass in dieser Zeit deutsche Bildungsbürger ein gewisses Interesse am Buddhismus haben, zeigt sich in der Literatur: Der spätere Nobelpreisträger Hermann Hesse (1877-1962) setzt dem Buddha mit seinem viel gelesenen Werk "Siddhartha" ein literarisches Denkmal.
Buddhistische Gruppen, die in der geistig engen Zeit des Nationalsozialismus eingegangen waren, werden in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg langsam neu erweckt. Die vorherrschende Richtung ist zunächst das klassische Theravada. 1955 wird die "Deutsche Buddhistische Gesellschaft" als ein Dachverband Deutscher Buddhisten gegründet (1958 in "Deutsche Buddhistische Union" [DBU] umbenannt).
1948 weckt ein Buch eines deutschen Philosophieprofessors, der mehrere Jahre in Japan gelebt hat, großes Interesse: "Zen in der Kunst des Bogenschießens" von Eugen Herrigel (1884-1955). Ab den späten 1960er Jahren wächst das Interesse für japanischen Zen-Buddhismus stark an. Der in der Rinzai-Tradition stehende Daisetz Teitaro Suzuki (1870-1966), der bereits in den USA eine Reihe von Zentren gegründet hatte, reist wiederholt nach Europa. Taisen Deshimaru Roshi (1914-1982) lebt ab 1967 in Frankreich und steht beim Aufbau vieler Gruppen der Soto-Zen-Richtung Pate. Mittlerweile sind praktisch alle wichtigen Schulen des Zen – mit Wurzeln in Japan, Korea, China und Vietnam – in Deutschland vertreten.
Über den Tibetischen Buddhismus weiß die Welt lange fast nichts. Das ändert sich in den Jahren nach der spektakulären Flucht des Dalai Lama aus Tibet im März 1959. Neben dem jungen Mönchskönig sind andere hohe Lamas bzw. Meditationsmeister unter den zehntausenden Tibetern, die das Land infolge der chinesischen Besetzung in südlicher Richtung verlassen. In der Folge nimmt das Interesse im Westen nach dem umfassenden Erfahrungswissen des Buddhismus zu, das sich hinter exotisch anmutenden Ritualen der tibetischen Kultur verbirgt. Dies gilt auch für Deutschland: Einige tibetische Gelehrte werden an Universitäten in der Bundesrepublik berufen, hohe Lamas machen Besuchsreisen in Europa und gründen Zentren der verschiedenen, voneinander unabhängigen Schulen des Tibetischen Buddhismus. Daneben sind auch einige Europäer, die in Asien lernten und von ihren Lehrern zum Lehren und Gründen von Zentren autorisiert wurden, seit Jahren in Deutschland aktiv.
Daneben gibt es auch asiatische Buddhisten, die in Deutschland leben und Tempel sowie Pagoden etabliert haben. Die größte Gruppe von ihnen sind ca. 100.000 Menschen vietnamesischer Herkunft. Meist handelt es sich um Bootsflüchtlinge und ihre Familienangehörige, die zwischen 1975 und 1986 in der Bundesrepublik aufgenommen wurden, sowie mehrere zehntausend ehemalige Vertragsarbeiter in der DDR, die nach der Wiedervereinigung in Deutschland blieben und sich neue Existenzen aufbauen.
Heute gibt es ca. 250.000 bis 300.000 bekennende Buddhisten in Deutschland. Es gibt mehrere Dutzend buddhistische Verbände mit über 600 Anlaufstellen (Zentren, Tempel, Meditations- und Studiengruppen, Klöster, Seminarhäuser etc.). In der "Deutschen Buddhistischen Union" (DBU) sind mit insgesamt ca. 7000 Buddhisten aus verschiedenen Gemeinschaften und weiteren ca. 2.200 Einzelmitgliedern nur 3% aller Buddhisten in Deutschland zusammen geschlossen.